In diesem Beitrag geht es um die Phasen der Eingewöhnung, die man in einer „fremden“ Kultur erlebt. Nicht man, sondern in diesem Fall ich. Mein Anliegen ist es, euch aus meiner Perspektive zu berichten
Warum? Weil ich denke, dass Offenheit gegenüber menschlicher Vielfalt unter anderem dadurch entsteht, dass wir verschiedene Perspektiven kennenlernen. Eine davon nun in
diesem Text.
Hi Japan!/Sigi Zitz
1. die rosarote Brille, der Anfang
Ich bin entzückt gegenüber der neuen Erfahrung, beobachte die Menschen, ihre Körpersprache, schmunzle darüber und finde alles skurril im positiven Sinne. Ich lasse mich verzaubern. Es ist ein bisschen wie verknallt sein in die ganze Umgebung, alle Menschen, die neuen Eindrücke. Habe trotz Begeisterung die Perspektive einer Beobachtenden, der Blick ist eher im Außen verankert. Ich sehe mich selbst nicht so richtig im Kontext, sondern eher als Besuchende, als Außenstehende.
2. Kulturschock, ab Monat 4
Ich bemerke, dass nicht die anderen- sondern ich anders bin und bekomme das auch so gespiegelt. Ich bin oft frustriert und angeschlagen. Auch wenn mir das damals gar nicht so bewusst war, ist ein Teil meiner Wahrnehmung der Ansicht, dass die Kultur in der ich jetzt wohne, sich bitteschön mir anpassen soll. Ich kollidiere immer wieder mit den Einstellungen, den Verhaltensweisen, der Politik, dem Umgang mit Konsum, und und und in einer so extremen Art und Weise, dass ich mich davon fast persönlich angegriffen fühle.
Zudem kommt eine extreme Sensibilisierung dafür, wie ich „behandelt werde“, dass ich als Gaijin (dt.: Ausländer) hier nicht dazugehöre, angeschaut werde und der Sitz in der Bahn neben mir immer leer bleibt. Ich will dazugehören, nicht mehr Beobachterin sein, aber das dazugehören will mir nicht so richtig gelingen. Ich bin viel für mich, gehe hier und da raus und wenn Leute auf mich zukommen, bin ich manchmal misstrauisch.
Cultureclash/ Sigi Zitz
3. Realitätscheck- ab Monat 8
Mir dämmert es langsam, dass nicht die Leute um mich herum sich anpassen müssen, sondern dass ich diesen Schritt in Richtung „mich der anderen Kultur öffnen“ gehen muss. Dieser Schritt ist in Japan für mich sehr groß. Mit sich öffnen meine ich, Akzeptanz lernen und mich aktiv bemühen, mich in dieser Kultur einzuleben. Ohne dieses romantisieren oder idealisieren (siehe Phase 1;)) und auch ohne dieses „die Anderen müssen, sollten doch das, das, dieses und jenes ändern- WAS IST NUR LOS IN DIESEM LAND??“ (siehe Phase 2.) Fragen die ich mir stelle sind: wie kann ich mich selbst integrieren? Zu welchen Menschen kann und will ich näheren Kontakt haben? Was kann ich beitragen und wo liegen meine eigenen Grenzen?
4. Ist- Zustand, ab Monat 10
Ich fühle mich in Japan zuhause. Das war für mich eine Frage der Zeit. Ich habe mich eingelebt und liebe viele Dinge hier. Vor allem mein Leben. Ich betone das, weil es keine Selbstverständlichkeit ist.
Ich habe in einem anderen Beitrag mal geschrieben, dass dieser anonyme Aspekt für mich herausfordernd ist. Dass man zB. auf der Straße nicht gegrüßt wird. Aber inzwischen empfinde ich das auf der anderen Seite als Respektieren des persönlichen Raumes. Es ist eben alles eine Frage der Perspektive und Bewertung eines Phänomens (egal ob kulturell oder in anderen Bereichen).
Die Sitze in der Bahn bleiben neben mir immer noch frei. Ich müsste lügen, wenn ich behaupten würde, dass mich das nicht zeitweise ziemlich getroffen hat. Inzwischen entkopple ich das von meiner Person, weil ich weiß, dass jeder Mensch eben seine Vorurteile hat, die mich nur begrenzt etwas angehen. Ich bin in vielerlei Hinsicht auch robust geworden und der Meinung, dass wir einfach alle noch viel zu tun haben in Puncto Offenheit und Toleranz. Mich mit eingeschlossen.
Das Thema Diversität ist in Japan wirklich noch in den Babyschuhen und mit einer deutschen, lauten Perspektive kommt man hier nicht weit.
Dieses Einleben ist vermutlich wohl auch eine Frage der Persönlichkeit und der eigenen Bedürfnisse. Ich denke, eine gewisse Bereitschaft sich umzustellen und Reflexionsfähigkeit kann nicht schaden, wenn man in einer anderen Kultur lebt. Mir ist sehr bewusst, dass ich mit allem was ich mitbringe, in einer privilegierten Situation bin. Sowohl was meine freie Entscheidung angeht, in Japan zu leben, als auch was meinen kulturellen und ethnischen Hintergrund betrifft.
Übrigens: Diese Phasen sind und waren bei mir mehr oder weniger chronologisch und überschneiden sich teilweise auch.
Fazit:
Begegnung ist nicht passiv. Es ist nicht etwas, was von außen passiert. Es erfordert einen Schritt von innen heraus. Denn letztlich bestimmt deine persönliche Bereitschaft, dich in einer Umgebung einzuleben, wie du dein Außen, deine Begegnungen mit Neuem wahrnimmst.
Mit diesem Gedanken, so hoffe ich, kann ich dich ein Stückchen mehr dazu inspirieren, dich selbst zu öffnen und auch anderen diesen Schritt zuzugestehen.
Sigi
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